Würde
Die menschliche Würde bezeichnet den Wert und die Bedeutung, die jeder Mensch hat, genauso wie das Gefühl, für sich und Andere von Wert zu sein. Laut Grundgesetz ist die Würde eines jeden Menschen unantastbar. Wenn das so ist, warum leiden dann so viele von uns unter einem Mangel an Selbstwertgefühl und damit darunter, keinen Bezug zu ihrer Würde zu haben?
So wie ich das sehe, beschreibt das Grundgesetz einen Wunschzustand, an dessen Nichterfüllung wir aber individuell und kollektiv stetig arbeiten.
Keinen Bezug zur eigenen Würde, zum eigenen Wert zu haben, ist für viele uns schmerzhaft. Weil es bedeutet, dass wir nicht erkennen und leben können, dass wir allein durch unser Da-Sein, so wie wir sind, einen Wert und eine Bedeutung haben.
Wir leben dann in der Illusion, dass wir nur durch Anpassen, Tun und Geben einen Wert haben und verletzen uns damit selbst in unserer Würde. Das Abstruse: wir können dann das in uns angelegte Potenzial, unseren ganz eigenen Mix aus Qualitäten, Fähigkeiten und Interessen, nicht entfalten, weil wir dieses Potential (diese Würde, diesen Wert) nicht erkennen.
Ebenso ist es, wenn wir von anderen in unserer Würde verletzt werden. Das geschieht durch Grenzüberschreitungen, sowohl physischer, emotionaler oder materieller Natur. Wenn uns schon früh vermittelt wurde, dass wir keinen Anspruch auf unseren eigenen Raum, unseren eigenen Willen, unsere eigenen Gefühle oder auf die Dinge, die wir besitzen, erheben können, bedeutet das, dass uns unsere Würde aberkannt wird.
Offensichtlicher noch wird es, wenn wir bestraft werden. Denn als Kinder können wir schlecht unterscheiden, ob die Bestrafung unserem Verhalten oder unserer Person gilt. Wachsen wir in einem Umfeld (Familie, Kindergarten, Schule) auf, das mit Bestrafung arbeitet, ergibt sich bald das Gefühl, für das eigene Sein bestraft zu werden. Die Angst vor der Bestrafung erstickt dann nicht selten den Impuls zur Lebendigkeit.
Gerade für uns Erwachsene, besonders wenn wir junge Menschen führen und begleiten, ist es wichtig, dass wir sehen und anerkennen, wie und wann wir in unserer Würde verletzt wurden; dass wir uns allmählich den Raum zurück erobern, uns so zu zeigen, wie wir sind und uns bewusst die Gegenwart der Menschen suchen, die uns in unserem Sein, in unserer Würde und in unserem Ausdruck unterstützen.
Erst dann schaffen wir ein tiefes Verständnis für "Gleichwürdigkeit" (nach Jesper Juul) (oder auch "Die Würde ist unantastbar"). Nämlich dass jeder von uns, egal ob alt oder jung, die gleiche Würde, den gleichen Wert und die gleiche Bedeutung in dieser Welt und für unser Miteinander hat.